«Medikamente sollen nur kosten, wenn sie wirken», so titelte das Onlineportal des Schweizer Fernsehens am 21.9.2016: Der Novartis-Chef Joe Jimenez wirbt für eine Art Geld-zurück-Garantie. Ist dieser aus Sicht Price Excellence sehr interessante Ansatz wirklich praktikabel?
Die Medikamente von Novartis sollen weniger kosten, wenn sie dem Patienten einen geringeren Nutzen stiften. Im Rahmen erster Versuche in den USA hat sich Novartis mit den beiden US-Krankenkassen Aetna und Cigna auf neue Preismodelle für das Herzmittel Entresto geeinigt. Die Vergütung für den Pharmakonzern wird dabei an den Behandlungserfolg gekoppelt. In der Schweiz will Novartis mit der Helsana zusammenspannen, was auf Kritik stösst.
Nutzenbasierter Ansatz als Basis
Aus Sicht der Price Excellence ist das angedachte Modell äusserst spannend. Dies weil die Wirkung und der Behandlungserfolg ebenfalls in das Pricing miteinfliessen. In Zeiten des steigenden Kostendrucks im Gesundheitswesens sind solche Modelle nicht nur spannend; vielmehr können sie mittelfristig auch ein Beitrag zur nachhaltigen Erhaltung des Schweizer Gesundheitsmodells sein. Kern des angedachten Preismodells ist, dass der Kunde den Kauf und somit auch den Anbieter als sehr fair wahrnimmt. Vor allem weil der individuell bezahlte Preis mit dem persönlich wahrgenommenen Nutzen kongruent sein wird. Der Ansatz wäre aber schon fast von idealistischer Natur, weil durch solche Modelle, die auf dem tatsächlichen Nutzen basierende Zahlungsbereitschaft optimal abgeschöpft wird. Die Umsetzbarkeit eines solchen – auf dem individuell erbrachten Nutzen basierenden Pricings – ist aber aus verschiedenen Gründen enorm schwierig.
Im Normalfall stellt die Umsetzung schon einige Probleme dar, die aber durch die Anwendung einiger einfacher Prinzipien des Value Based Pricing (siehe Video) zu lösen sind.
Aus Sicht Preis Excellence bestehen zusätzliche Herausforderungen bei der Anwendung von Value Based Pricing bei Medikamenten in den folgenden vier Aspekten:
Thema I: Subjektivität des Konsumenten in der Wahrnehmung des Preis-/Leistungsverhältnisses
Die erste grosse Herausforderung besteht darin, dass der gestiftete Nutzen und der entsprechende faire Preis stark subjektiver Natur sind. Was soll mit „Wirkung eines Medikamentes“ gemeint sein, dürfte von Person zu Person sehr unterschiedlich sein. Die subjektive Wahrnehmung basiert auf den unterschiedlichen Erfahrungen des Menschen, den Einstellungen, Aktivierungen, Emotionen, Motivationen und prädisponierenden Faktoren wie kultureller Hintergrund. Die Subjektivität und Individualität führt einerseits zu einer enorm grossen Zahl an Preisen bei einem solchen Preismodell (maximal so viele Preise wie Kunden). Weiter ist die Prognose der Zahlungsbereitschaft schwierig, da diese z.B. in Abhängigkeit vom Gemütszustand variieren kann.
Diese Subjektivität ist wohl die grösste Schwierigkeit in der Umsetzung des angedachten Modells. Während Patient A mit einer 80% Heilung vollends zufrieden ist und eine entsprechend angemessene Zahlungsbereitschaft aufweisen würde, könnte Patient B mit einem aus medizinischer Sicht objektiv vergleichbaren Ergebnis nicht zufrieden sein und keine Zahlungsbereitschaft aufweisen. Eine wesentliche Frage ist die Suche nach einem Prozess, welcher diese Subjektivität zumindest in eine gewisse Objektivität überführt. Genau diese Herausforderungen wurden in den ersten Tests von Novartis gekonnt adressiert. So ist das angedachte Modell nicht auf dem individuell erbrachten Nutzen basierend. Vielmehr orientiert es sich an dem Erfolg einer Krebsbehandlung, der sich relativ objektiv messen lässt. Der Behandlungserfolg wird an dem Verschwinden von Tumoren gemessen. Die Gefahr besteht aber natürlich nach wie vor, dass nur eine subjektive Veränderung erlebt wird und ein objektiver Nutzen nicht festgestellt werden kann.
Thema 2: Erfassung des gestifteten Nutzens
Ein zweiter zentraler Punkt betrifft eine typische Eigenheit der Menschen. Menschen haben eine Unfähigkeit die wahren Bedürfnisse und somit auch den erbrachten Nutzen zu äussern und zu quantifizieren. Deshalb ist es in der Praxis schwierig, den wahrgenommenen Nutzen systematisch zu erheben. Gerade bei Produkten wie Medikamenten, deren Anwendung die Kombination mit einer Dienstleistung bedingt, ist die Erfassung des gestifteten Nutzens zusätzlich erschwert. Obwohl heute ein Set an Marktforschungstools von Price Excellence zur Verfügung steht, sind die Ergebnisse aus solchen Befragungen immer auch mit Vorsicht zu geniessen. Mit Vorsicht deshalb, weil in einem Experiment nur eine beschränkte Anzahl Situationen kreiert werden kann, in welchen der wahrgenommene Nutzen erhoben wird.
Thema 3: Management der entstehenden Komplexität
Die Preisdiskriminierung des dritten Grades (jeder Kunde zahlt einen individuellen Preis) führt im Medikamenten-Umfeld zu einer sehr hohen Komplexität. Die wesentliche Frage aus Sicht der Price Excellence in diesem Zusammenhang ist deshalb, wie mit der grossen Datenmenge umgegangen wird. Heutige Preismanagement-Software hilft das Problem zu lösen, krankt aber oft an den ähnlichen Problemen wie andere datenbankbasierte Systeme; die Datenqualität stellt eine nicht zu unterschätzende Herausforderung dar.
Thema 4: Technische Umsetzbarkeit
Die operative Umsetzung stellt eine grosse Herausforderung dar, was an sich bei Price Excellence Initiativen nicht unüblich ist. Da die Leistungserbringung nicht direkt durch den Medikamentenhersteller, sondern v.a. von Ärzten und Apothekern erbracht wird und somit weitere Stakeholder involviert sind, ist der Anspruch in Bezug auf die technische Umsetzbarkeit eine grosse Herausforderung. Alleine schon der Umstand, dass zwischen der Leistungserbringung und der Wirkung eine zeitliche Differenz besteht, würde die Abrechnung verzögert und somit reicht es wie oft im Pricing nicht nur, das Preis-Modell zu verändern. Vielmehr sind die Konsequenzen für das gesamte Geschäftsmodell zu berücksichtigen.
Fazit
Das Preismodell eines nutzenbasierten Pricings stellt im Rahmen von Price Excellence fast schon eine Selbstverständlichkeit dar. Für Medikamente bei komplexen Behandlungen aber mit einem objektiv feststellbaren Behandlungserfolg ist es ebenfalls gut umsetzbar und somit ein möglicher Beitrag zur Reduktion der Kostenexplosion im Gesundheitswesen. Für alltägliche, einfache Medikamente mit einer grossen Anzahl an Patienten, fehlendem objektivem Behandlungserfolg und komplexem direktem Zugriff auf den Kunden, ist ein einseitig nutzenbasiertes Modell mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Die Einführung eines solchen Pricings würden vielleicht sogar zum Gegenteil, nämlich eher zu einem weiteren Kostenanstieg führen.